Nation

Es lassen sich drei Arten unterscheiden, eine Nation zu definieren: Subjektivistische Definitionen behaupten, die Nation beruhe einzig auf dem freien Entschluss und der Überzeugung ihrer Mitglieder, dass sie zusammengehören. Objektivistische Definitionen versuchen, Individuen durch scheinbar objektive, außerhalb der Individuen liegende Kriterien wie „Sprache“, „Kultur“ usw. eindeutig Nationen zuzuordnen. Sie verstehen Nationen als natürlich gegebene Gemeinschaften. Da  sich Nation auf diese Weisen aber nicht eindeutig bestimmen lässt, sehen dekonstruktivistische Definitionsansätze Nationen allein durch die wechselseitige Identifikation und Anerkennung sozialer Akteur*innen definiert. Nation setzt somit die Bildung einer Ethnizität voraus, die sich auf eine „vorgestellte Gemeinschaft“ (deren Angehörige sich niemals alle kennenlernen und miteinander interagieren können), auf einen Staat und auf ein Territorium bezieht (ihre Angehörigen stellen sich die Nation als begrenzt und souverän vor) und deren Angehörige unabhängig von realen Ungleichheiten als Gleiche verstanden werden. Nation setzt also die Vorstellung ihrer Existenz voraus. Die Aufgabe, diese Vorstellung zu konstruieren, aktiv durchzusetzen, praktisch wirksam werden zu lassen und aufrechtzuerhalten (z. B. durch die Ausbildung einer staatlich abgesicherten homogenisierten Hochkultur, die Einführung von Staatsbürger*innenschaften, Nationalsymbolen, Ritualen, Sozialsystemen, Straßenschildern, Grenzkontrollen u. v. m.), kommt dem Nationalismus als soziale Bewegung zu und war nur unter historisch spezifischen Bedingungen möglich.

Siehe auch Ethnie


Nationalismus

Nationalismen sind durch zwei Prinzipien gekennzeichnet: Erstens werden die nationale Zugehörigkeit und das subjektive Zugehörigkeitsgefühl dazu benutzt, um politische, rechtliche und soziale Ansprüche zu formulieren, die Nicht-Zugehörigen abgesprochen werden. Zweitens müssen alle Nationalismen definieren, wer zur Nation gehört und wer nicht. Diese Bestimmung geschieht entlang von Definitionskriterien wie „Kultur“, „Geschichte“, „Abstammung“ oder „Rasse“. Im Ergebnis ist die gesamte Menschheit in Völker bzw. Nationen eingeteilt, die als kollektive Akteur*innen von Politik und Geschichte betrachtet werden. Nationalismus kann also als ein Konglomerat aus politischen Ideen, Symbolen, Gefühlen, alltäglichen Handlungen, staatlichen Identifikationsangeboten und Institutionen verstanden werden. Nationalismen fußen also auf gemeinsamen Glaubenssätzen: auf der Überzeugung, dass die Unterteilung in Nationen auf unhintergehbaren Gemeinsamkeiten der jeweiligen Mitglieder fuße; dass jeder Mensch einer Nation angehören müsse und an ein bestimmtes Territorium gebunden ist; dass die Erkenntnis der Zugehörigkeit einer notwendigen – mensch könnte sagen „gesunden“ – Bewusstwerdung gleichkomme; und schließlich, dass die Loyalität zur Nation ein moralischer Wert an sich sei.  

Siehe auch Antisemitismus und völkischer Nationalismus


Naturalisierung

Naturalisierung meint den Prozess, durch den menschliches Denken und Handeln sowie dessen Ergebnisse wie z. B. Ungleichheitsstrukturen mit einer vermeintlichen menschlichen Natur oder einer vermeintlichen geteilten Natur der „Anderen“ erklärt werden. Da die Wissenschaften in den westlichen Gesellschaften den Platz der Religion als zentrale Instanz der Realitätsproduktion und -deutung eingenommen haben, ist die Naturalisierung das wirksamste Mittel, um Rassismus und andere Diskriminierungsformen sowie deren Folgen zu rechtfertigen. Als Strategien der Naturalisierung kommen Biologisierung, Kulturalisierung und der Bezug auf vermeintlich objektive Leistungskriterien in Betracht.  

Siehe auch Biologismus und Kulturalismus


Neorassismus

Dem französischen Rassismustheoretiker Etienne Balibar zufolge handelt es sich um einen Rassismus, „dessen vorherrschendes Thema nicht mehr die biologische Vererbung, sondern die Unaufhebbarkeit der kulturellen Differenzen ist; [also um einen Rassismus], der – jedenfalls auf den ersten Blick – nicht mehr die Überlegenheit bestimmter Gruppen oder Völker über andere postuliert, sondern sich darauf ‚beschränkt‘, die Schädlichkeit jeder Grenzverwischung und die Unvereinbarkeit der Lebensweisen und Traditionen zu behaupten“ (Balibar 1990, 28). Dem Neorassismus liegt die kulturalistische Auffassung zugrunde, dass die Menschheit in relativ abgeschlossene und klar voneinander unterscheidbare Kollektive – die z. B. als „Kulturen“ bezeichnet werden – geteilt sei.  Deren Mitglieder, so wird im neorassistischen Denken angenommen, teilen eine homogene, kaum veränderbare, statische und an ein bestimmtes Territorium gebundene Kultur. Menschen werden in dieser Vorstellungswelt als Stellvertreter_innen „ihrer Kultur“ und ihr Verhalten als kulturell determiniert betrachtet. „Kultur“ oder andere Euphemismen wie z. B. „Mentalität“ fungieren hier also als funktionale Äquivalente des Begriffs „Rasse“. Denn statt der Biologie naturalisiert nun „Kultur“ das menschliche Verhalten.  

Siehe auch Ethnopluralismus und Naturalisierung