Seiteneffekt-Rassismus

In Anlehnung an Seiteneffekt-Diskriminierung bezeichnet der Begriff Seiteneffekt-Rassismus das Phänomen, dass institutionelle Diskriminierungen in einem sozialen Bereich zu institutionellem Rassismus durch Gleichbehandlung führen können. So können sich für rassistisch diskreditierbare Menschen aus einer Benachteiligung im Bildungssystem Benachteiligungen bei der Arbeitssuche, der Bezahlung und Beförderung ergeben, die dann zu Nachteilen bei der Wohnungssuche führen, wo Vermieter*innen vermeintlich neutral Wohnungen nach der finanziellen Situation der Wohnungssuchenden vergeben. Über den Topos der „Ghettobildung“ wird dieser Prozess des institutionellen Rassismus auf kulturalistische Weise den Betroffenen angelastet, als freiwillige Selbstsegregation verschleiert und damit die gesellschaftliche Verantwortung der selbstverständlich Dazugehörigen ausgeblendet.


Sekundärer Rassismus

Sekundärer Rassismus ist ein Begriff, den der Sozialarbeiter und Rassismusforscher Claus Melter eingeführt hat. Damit bezeichnet er die Abwehrhaltung rassistisch nicht diskreditierbarer Menschen dagegen, Rassismuserfahrungen zu thematisieren, Rassismus als gesellschaftliche Normalität anzuerkennen, sich mit Rassismusvorwürfen reflektiert auseinanderzusetzen und Verantwortung für ausgeübte Rassismen und die Unterbrechung von Rassismus zu übernehmen. Durch sekundären Rassismus setzen rassistisch nicht diskreditierbare Menschen ihre Wahrnehmung der sozialen Realität als verbindlich durch (Siehe auch Weißsein, Privilegien und Dominanz). Auf diese Weise schaffen sie die Voraussetzung dafür, Ungleichverteilungen in der Gesellschaft rassistisch zu erklären, z. B. ethnisierend oder kulturalisierend. Sekundärer Rassismus äußert sich auf interaktionaler, institutioneller und gesellschaftlich-kultureller Ebene, z. B. wenn berichtete Rassismuserfahrungen geleugnet werden; wenn die Auseinandersetzung mit Rassismus als „zusätzliche“ Aufgabe anstatt als Teil von Professionalität und notwendiger Inhalt der pädagogischen Ausbildung verstanden wird; wenn öffentliche Diskurse vorherrschen, in denen Rassismus auf körperliche Gewalt reduziert, oder als Ausnahme von einer sonst nicht rassistischen Normalität verstanden wird. Dem Begriff geht es nicht darum, Rassismusvorwürfe vor Kritik zu schützen, sondern darum, dass weiße Menschen sich ernsthaft, gründlich und präzise mit Handlungen und eingeschliffenen Handlungsmustern auseinandersetzen.

Siehe auch Farbenblindheit


Sexismus

Unter Sexismus wird jede Art der Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres (zugeschriebenen) Geschlechts sowie die diesen Erscheinungen zugrunde liegende Ideologie verstanden. Sexismus findet sich in Vorurteilen und Weltanschauungen, in sozialen, rechtlichen und wirtschaftlichen Regelungen, in Form faktischer Gewalttätigkeit (Vergewaltigung, Frauenhandel, sexuelle Belästigung, herabwürdigende Behandlung und Sprache) und in der Rechtfertigung solcher Gewaltstrukturen durch den Verweis auf eine „naturgegebene“ Geschlechterdifferenz. Der Problematisierung und wissenschaftlichen Aufarbeitung hat sich insbesondere die Frauenbewegung und -forschung mit Blick auf Stereotype und Strukturen gewidmet, die Frauen benachteiligen. Die Kritik von Sexismus bezieht sich heute auch auf sozial definierte Geschlechterrollen und Geschlechterverhältnisse (siehe Gender).  

Siehe auch Feminismus und Heteronormativität


Sinti

Siehe Sinti*zze und Rom*nja


Sinti und Roma

Siehe Sinti*zze und Rom*nja


Sinti*zze und Roma*nja

Sinti*zze und Roma*nja ist die Selbstbezeichnung einer wenige Hundertausend Mitglieder umfassenden und stark ausdifferenzierten Minderheit in Deutschland. Sie ist seit dem Ende des 14. Jahrhunderts in Europa beheimatet und neben Dän*innen, Sorb*innen und Fries*innen in Deutschland als nationale Minderheit anerkannt. „Sinti“ ist als Selbstbezeichnung der deutschsprachigen Minderheit erstmals Ende des 18. Jahrhunderts belegt (Einzahl, männlich: Sinto; Einzahl, weiblich: Sintez(z)a oder Sintiz(z)a; Mehrzahl, weiblich: Sintez(z)e oder Sinti(z)ze). Seit dem ersten Internationalen Romani Kongress ist „Roma“ (Einzahl, männlich: Rom; Einzahl, weiblich: Romni; Mehrzahl, weiblich: Romnja) die offizielle Selbstbezeichnung. Sie umfasst zahlreiche Romani-Gruppen und wird daher – wie auch die Bezeichnung Sinti*zze und Rom*nja – auch von einigen abgelehnt, die stattdessen den eigenen Gruppennamen bevorzugen, wie z. B. Lowara, Lalleri oder Kalderasch. In Deutschland verweist sie außerdem auf Rom*nja südosteuropäischer Herkunft. Die stigmatisierende Fremdbezeichnung als „Zi.“ wird vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma als diskriminierend abgelehnt. Doch selbst die Selbstbezeichnung kann stigmatisierenden Charakter annehmen. Sinti*zze und Roma*nja sind vielfacher Diskriminierung ausgesetzt, die mit unterschiedlichen Begriffen benannt wird.  

Siehe Antiromaismus, Antiziganismus und Gadje-Rassismus


Social Justice

Social Justice bezeichnet das politische Projekt einer gerechten Gesellschaft. Dafür ist laut den Anhänger*innen der Social Justice-Theorien das Analysieren und Hinterfragen von grundsätzlichen Macht- und Herrschaftsstrukturen genauso notwendig, wie die Anerkennung der eigenen Privilegien und der Diskriminierung anderer in diesem Bereich. Dabei ist es wichtig zu erkennen, dass Diskriminierung entlang vieler verschiedener (zugeschriebener) Kategorien (Differenzlinien) oft intersektional verläuft und deswegen alle Menschen in unterschiedlichen Situationen sowohl diskriminierend als auch diskriminiert sein können. Solidarität soll im Social Justice nicht anhand von Identifikationslinien funktionieren (etwa weil Personen ähneln oder ähnliche Interessen haben), sondern aus dem grundlegenden Verständnis der Gleichwertigkeit aller Menschen in ihrer Verschiedenheit resultieren.


Solidarität

Solidarität bedeutet, mit jemandem zusammenzuhalten und ihr*ihm beizustehen. Aus der Arbeiter*innenbewegung kommend, verweist der Begriff auf den gemeinsamen Kampf aufgrund gleicher Interessen und eines darauf beruhenden Zusammengehörigkeitsgefühls. Doch Menschen können sich auch für andere einsetzen, wenn sie sich nicht mit ihnen identifizieren können, etwa da sie keine Zugehörigkeiten teilen oder ganz andere Interessen oder Probleme haben. Das Konzept des Verbündet-Seins versucht einen Solidaritätsbegriff zu etablieren, der unabhängig von gemeinsamen Gruppeninteressen oder paternalistischem Mitleid ist. Jeder Mensch hat andere Privilegien, die in unterschiedlichen Kontexten eine Rolle spielen. Sich dieser Privilegien bewusst zu sein, sich darum zu bemühen, sie zu teilen, und sie bewusst einzusetzen, um die Machtverhältnisse zu durchbrechen, auch wenn es mit Risiken wie dem Verlust eigener Privilegien einhergehen kann, bedeutet Solidarität im Sinne des Verbündet-Seins.  

Siehe auch Critical Whiteness, Empowerment und Social Justice


Spätaussiedler

Seit dem 1. Januar 1993 bezeichnet man deutsche „Volkszugehörige” (nach § 4 Abs. 1 Bundesvertriebenengesetzes), die die Republiken der ehemaligen Sowjetunion, Estland, Lettland oder Litauen nach dem 31. Dezember 1992 verlassen haben, als Spätaussiedler*innen. Diese müssen ein Aufnahmeverfahren durchlaufen und innerhalb von sechs Monaten einen ständigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Um den Status Spätaussiedler*innen zu bekommen, müssen folgende Punkte erfüllt sein: Die Person muss: 1. seit dem 8. Mai 1945 oder 2. nach seiner Vertreibung oder der Vertreibung eines Elternteils seit dem 31. März 1952 oder 3. seit seiner Geburt, wenn er vor dem 1. Januar 1993 geboren ist und von einer Person abstammt , die die Stichtagsvoraussetzung des 8. Mai 1945 nach Nummer 1 oder des 31. März 1952 nach Nummer 2 erfüllt, es sei denn, dass Eltern oder Großeltern ihren Wohnsitz erst nach dem 31. März 1952 in die Aussiedlergebiete verlegt haben, seinen Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten hatte. Spätaussiedler*in ist gemäß Absatz 2 aaO auch ein*e deutsche*r Staatsangehörige*r aus den Aussiedlungsgebieten des § 1 Abs. 2 Nr. 3 außer den in Absatz 1 genannten Staaten, der die übrigen Voraussetzungen des Absatz 1 erfüllt und glaubhaft machen kann, dass er am 31. Dezember 1992 oder danach Benachteilungen oder Nachwirkung früherer Benachteilungen aufgrund deutscher Volkszugehörigkeit unterlag. Grundsätzlich muss jede Person, die den Status Aussiedler oder Spätaussiedler bekommen möchte, seit Juli 1990 mit einem Aufnahmeverfahren nach Deutschland einreisen.


Sprache

Für eine ernstgemeinte Rassismuskritik sind die Auseinandersetzung und ein sensibler Umgang mit Sprache außerordentlich wichtig. Denn Menschen zu kategorisieren und zu benennen ist ein Privileg, mit dem die Deutungshoheit über die „Realität“ einhergeht: Die Macht, seine Begriffe und Worte durchzusetzen, „die Anderen“ zu repräsentieren und zu „Anderen“ zu machen, bedeutet auch die Macht, bestimmen zu können, was wahr und was falsch ist (Definitionsmacht, siehe auch epistemische Gewalt und symbolische Macht). Zudem kann Sprache auf einer individuellen Ebene sehr verletzen, insbesondere da sie folgenden Aspekt der Macht verdeutlicht: „Ich darf dich nennen wie ich will, denn ich weiß genau wer du bist und du kannst nichts dagegen tun“. Eine rassismus- und darüber hinaus diskriminierungssensible Sprache hat also nichts mit Zensur zu tun, sondern bedeutet Rücksichtnahme und den bewussten Umgang mit dem Privileg der Deutungshoheit. Dies kann bedeuten, bei der Beschreibung von Menschen stets ihre Selbstbezeichnung anstatt von Fremdzuschreibungen zu nutzen.  

Siehe auch Dominanz, Macht, Othering, Rassifizierung und Stigmatisierung


Stereotyp

Der Begriff wurde 1922 von Walter Lippmann für „vorgefasste Meinungen über soziale Gruppen” in die Sozialwissenschaft eingeführt. In der Psychologie bezeichnen Stereotype den kognitiven Aspekt von Vorurteilen. Stereotype sind Kategorisierungen oder Eigenschaftszuschreibungen, mit denen alltägliche Informationen über Menschen oder Sachverhalte wahrgenommen und im Gedächtnis gespeichert werden. Sie reduzieren Komplexität und vereinfachen die Realität, bieten aber auch Orientierung in einer von unüberschaubar vielen Informationen gekennzeichneten Welt. In der Gesellschaft weitgehend bekannte Stereotype zu kennen, bedeutet nicht notwendigerweise, dass ihnen auch zugestimmt wird.  

Im kulturwissenschaftlichen Sinn sind Stereotype verallgemeinernde Zuschreibungen von Eigenschaften an sozial konstruierte Gruppen und diesen Gruppen zugeordnete Personen, durch die Personen auf wenige markante Merkmale reduziert und diese festgeschrieben werden. Die zugeschriebenen Eigenschaften können positiv und/oder negativ sein.  

Siehe auch Stereotypisierung


Stereotypisierung

Unter Stereotypisierung wird der Prozess verstanden, durch den konstruierten sozialen Gruppen (siehe Rassifizierung) wenige, stark vereinfachte Eigenschaften (siehe Stereotyp) zugeschrieben werden. Ihnen zugeordnete Personen werden infolgedessen auf ihre zugeschriebene Gruppenzugehörigkeit und diese Eigenschaften reduziert werden. Dadurch werden sowohl Gemeinsamkeiten zwischen als auch Unterschiede innerhalb der konstruierten Gruppen verwischt. Durch Stereotypisierung wird das „Wesen“ der konstruierten Gruppen und der ihr zugeordneten Personen bestimmt und umgekehrt die zugeschriebenen Eigenschaften mit dem „Wesen“ der konstruierten Gruppen erklärt (siehe Biologisierung und Kulturalisierung). Zugeschriebene Eigenschaften und Verhalten werden also essentialisiert und naturalisiert.  

Die „den Anderen“ zugeschriebenen Eigenschaften sind weder willkürlich noch zufällig. Sie leiten sich von den gesellschaftlich vorherrschenden Werten ab. Mittels Stereotypisierung können rassistisch nicht diskreditierbare Menschen also alles Abweichende und „Unnormale“ auf „die Anderen“ projizieren und auf diese Weise von sich abgespalten. Dadurch werden gesellschaftliche Normen durchgesetzt, die eigene Identität stabilisiert und symbolische Grenzen gezogen. Denn durch Stereotypisierung werden „die Anderen“ vollends zu absolut und wesenhaften „Anderen“ (siehe Othering). Dieser Prozess funktioniert unabhängig davon, ob die Stereotype positiver (Exotisierung, Idealisierung, Romantisierung) oder negativer (Dämonisierung) Natur sind.  

Siehe auch symbolische Macht


Stigmatisierung

Der aus dem Griechischen stammende Begriff steht für „Mal, entehrendes Kennzeichen“. Stigmatisieren bedeutet, eine Person oder eine Gruppe in diskriminierender Weise zu kennzeichnen, indem ihr bestimmte, von der Gesellschaft als negativ bewertete Merkmale zugeschrieben werden und/oder sie mit Fremdbezeichnungen belegt wird. Dabei kann sich die diskriminierende Kennzeichnung auf sichtbare Merkmale (z. B. Hautfarbe, Geschlecht) oder unsichtbare Merkmale (z. B. Religion, Sexualität) beziehen.


Symbolische Macht

Unter symbolischer Macht versteht der britische Soziologe Stuart Hall die Macht „die Anderen“ zu repräsentieren, „zu kennzeichnen, zuzuweisen und zu klassifizieren.“* Rassifizierung und die ihr immanenten Prozesse der Kategorisierung und Stereotypisierung sind also Praktiken, mit denen nicht rassistisch diskreditierbare Menschen symbolische Macht ausüben. Hall bezeichnet diese Form der Macht auch als symbolische Gewalt.  

Siehe auch Dominanz, epistemische Gewalt und Macht  

*Hall, Stuart (2004): Das Spektakel der „Anderen“, in: Koivisto, Juha (Hg.), Ideologie, Identität, Repräsentation, Hamburg: Argument-Verlag, 108-165, hier S. 145.